Donnerstag, 18. August 2022

Helen Cullen „Der Riss, durch den Licht eindringt“

Ich mag Romane, die in Irland spielen. Sie sind meistens geprägt von der grünen, aber rauen Landschaft, die die Menschen beeinflusst und eine gewisse Melancholie darin mitschwingen lässt.

So auch in diesem Roman. Auf dem rückseitigen Deckel ist die Aussage der Autorin Emma Flint abgedruckt: „… Dieses Buch ist einfach unfassbar schön.“ Dem stimme ich zu, allerdings mit der Einschränkung, dass es aus meiner Sicht auch unglaublich traurig ist.

 

Beschrieben wird die Liebes- und Lebensgeschichte von Maeve und Murtagh Moone, die sich in jungen Jahren kennen- und lieben lernen. Murtagh ist Töpfer und übernimmt eine Töpferei auf der Insel Inis Óg, weshalb beide dorthin übersiedeln. Eine Tochter kündigt sich an, Zwillingsjungen folgen und schließlich ein weiteres Mädchen. Viele Glücksmomente werden geschildert, aber auch die dunklen Stunden, die sicher in vielen Familien kommen und gehen… Aber in dieser Familie haben die dunklen Stunden die Ursache vor allem in der Angsterkrankung von Maeve, der Mutter. 

Angsterkrankungen gehören, glaube ich, zu den Störungen, die am schwersten von Mitmenschen nachvollzogen werden können. Niemand kann sich das wirklich vorstellen, der es nicht selbst erlebt hat. Es ist ja von außen nicht sichtbar und selbst wenn die Betroffenen sich nahen Menschen anvertrauen, wie Maeve sich Murtagh anvertraut, sind die Phasen der Starre, in die sie fallen, nur schwer auszuhalten, von den Erkrankten so wenig, wie vom unmittelbaren Umfeld.

 

Dass Maeve irgendwann entscheidet, diesem Leiden ein Ende zu bereiten, belastet die Familie massiv- wie sollte es auch anders sein. Ein Mensch hat entschieden zu gehen. Das allein ist schon kaum zu ertragen. Wie groß ist aber erst der Schmerz, wenn es die über alles geliebte Gefährtin und Mutter der Kinder ist! Ich habe heftig geweint…

 

Doch trotz der Trauer, die ich empfand, ist es doch ein wundervolles Buch, geschrieben in einer poetischen Sprache, die den Leser das Leben der Moones miterleben lässt, ihn mit ihnen lachen, leben und leiden lässt.

 

In einem Jahr fahren Murtagh und seine vier Kinder zu den Großeltern nach Boston, zu Maeves Eltern. Dort gibt es ein Gespräch zwischen Maeves Mutter June und Murtagh, aus dem ich hier zum Abschluss dieses Beitrags kurz zitieren möchte:

 

„ ‚Die Vergangenheit lässt sich mit hätte, wäre, wenn neu schreiben, aber du hast es so gut gemacht, wie du konntest. Genau wie Maeve. Jeder denkt, es sei immer noch Zeit genug, alles besser hinzukriegen.‘ ‚Bis die Zeit mit einem Mal vorbei ist.‘…“

Montag, 18. Juli 2022

Bernhard Schlink „Die Enkelin“

Wieder ein Buch von Bernhard Schlink. Auch hier genoss ich wieder die nachdenkliche Sprache des Autors und die genauen Beschreibungen der Protagonisten, ihres Lebensumfelds und ihrer Gefühle. 

 

Kaspar, ein Buchhändler mit eigenem Buchladen, betrauert den Tod seiner Frau Birgit. Sie hatte vor einigen Jahren begonnen zu schreiben und Kaspar erklärt, sie arbeite an einem Roman. Ihre Schreibstube wagt er zunächst nicht zu betreten, zumindest nicht zu sortieren/ durchzusehen. Er war immer zurückhaltend und verständnisvoll, vorsichtig auch, im Umgang mit seiner Frau. Sie hatte getrunken, zu viel, zu oft, litt unter Depressionen, wollte sich nicht behandeln lassen… er hoffte immer, das Schreiben könnte ihr helfen, könnte heilend wirken.

 

Dann kommt ein Brief von einem Verlag, in dem der Verlagsleiter von Gedichten und von einem Roman- Manuskript spricht. Kaspar ist verletzt. Von Gedichten weiß er nichts und dass sie einen Roman schreiben will, ja, das sagte Birgit, aber nichts Konkretes… Der Verlagsleiter scheint mehr zu wissen, als er und das tut ihm weh. 

 

Immer wieder vergehen Wochen, ehe Kaspar den nächsten Schritt macht. Irgendwann lässt er den Laptop reparieren und als das nicht wirklich gelingt, lässt er sich wenigstens alles ausdrucken, was noch wiederherstellbar ist. Und er beginnt zu lesen. 

 

Ein Roman ist es noch nicht. Eher die Lebensgeschichte von Birgit. Der Entwurf für das, was sie einmal ihren Roman nennen will. 

Kaspar liest diesen Entwurf. Birgit, die in der DDR aufwuchs und 1965 mit Kaspars Hilfe in den Westen flüchtet. 

Dass sie kurz vor der Flucht ein Kind zur Welt brachte, wusste Kaspar nicht. Er erfährt aus dem Text, dass sie das Kind damals nicht wollte, dass sie nun aber, viele Jahre später, den Vorsatz hatte, sich auf die Suche nach ihrer Tochter zu machen. Das Schreiben sollte helfen, die Angst davor, das schlechte Gewissen auch, zu verdrängen. Aber sie ging nicht auf die Suche. Das wird Kaspar während der Lektüre klar. Sollte er diesen Wunsch, den sie hatte, nun in die Tat umsetzen? Sollte er sich auf die Suche machen?

 

Wieder vergehen Wochen, bis Kaspar eine Entscheidung trifft. Er sucht und findet Birgits Tochter Svenja und deren Tochter, Sigrun. Es wäre kein Buch von Bernhard Schlink, wenn es dann einfach wäre. Wenn Kaspar alles erklären und einfach so die Rolle eines Großvaters übernehmen könnte. Wenn er eine Enkelin bekäme, obwohl sein Wunsch nach Kindern mit Birgit sich nie erfüllt hatte.

Nein, Sigrun lebt mit ihren Eltern Svenja und Björn in einer völkischen Gemeinschaft. Nach dem ersten Besuch will Kaspar sich zurückziehen. Wie soll das gehen? Zwischen seinen Werten, seiner Sicht auf die Welt und denjenigen dieser Gemeinschaft liegen Welten! Und doch lässt er sich darauf ein. Sigrun ist bereits 14 Jahre alt. Er handelt Besuchszeiten bei ihm in Berlin aus. Sie kommt zunächst im Herbst für eine Woche, dann nochmal im Frühjahr. Im Sommer verreist er mit ihr. Später gibt es einen Bruch, kein Kontakt mehr für zwei Jahre.

 

Was mich faszinierte, war die Haltung von Kaspar. Wie er mit seiner Enkelin umgeht. Wie es ihm gelingt, immer die Balance zu halten. Ihre Ansichten anzuhören, seine so zu formulieren, dass sie das Mädchen nicht bedrängen und doch etwas in ihr bewirken. 

Ich habe mich gefragt, ob ihm das so überwiegend ruhig und vorsichtig gelingt, weil er nicht der leibliche Großvater ist oder weil er einfach eine solche Persönlichkeit hat. Oder liegt es daran, dass er sie mit Abstand betrachten kann, auch wenn sie ihm nach und nach ans Herz wächst? Er ist nicht verantwortlich. Nicht er hat sie vierzehn Jahre lang im Sinne der völkischen Gemeinschaften erzogen. Er kann sich ihre Ansichten anhören und seine dagegenstellen. Er sorgt sich um sie, aber als der Kontakt abbricht, akzeptiert er das. Und als sie wieder auftaucht, Schwierigkeiten hat, hilft er ihr, akzeptiert letztlich auch jetzt die Entscheidungen, die nun sie trifft, wo zuvor die Eltern entschieden.

 

Wieder spricht Bernhard Schlink in seinem Buch zum einen den Umgang miteinander, aber auch brisante politische Themen an und gibt nebenbei einen Einblick in die (seine?) Liebe zur Musik und zur Literatur. 

 

 

 

 

 

Samstag, 16. Juli 2022

Jean- Luc Bannalec „Bretonische Nächte- Kommissar Dupins elfter Fall“

Als ich 2019 eine Rundreise unternahm, die mich über Amsterdam, Brügge, Abbeville, Guingamp, Port Manec’h und Luxemburg zurück nach Berlin führte, erhielt ich eine Buchempfehlung von einem ehemaligen Kollegen. Ich hielt mich gerade in Pont- Aven im Süden der Bretagne auf und hatte Fotos von dieser zauberhaften Stadt gepostet, da schrieb er, ob ich wüsste, dass der erste Fall von Kommissar Dupin in diesem Ort spiele. Ich wusste es nicht. Ich sah Krimis im Fernsehen, aber sie zu lesen war bisher nicht so sehr meins.

Zurück in Berlin besorgte ich mir auf diese Empfehlung hin den ersten Fall dieser Buchreihe von Jean- Luc- Bannalec „Bretonische Verhältnisse“… und ich verlängerte damit meinen Urlaub in der Bretagne, deren Gegend, Menschen, Essen… ich so sehr genossen hatte, indem ich alle Bände, die es bis dahin gab, nach und nach las.

 

Jean- Luc Bannalec schildert spannende Fälle. Durch die genaue Beschreibung der Natur, der Umgebung und der Menschen, habe ich immer das Gefühl, dabei zu sein, ebenfalls in diesem Wind zu stehen, zu fühlen, wie die Sonne auf der Haut brennt, wie das Fleur de Sel, die Austern und andere Köstlichkeiten zart auf der Zunge schmelzen, der Weißwein die Kehle hinunterrinnt oder einer der zahlreichen Espressi des Kommissars auch den eigenen Kopf erweckt… 

 

Jean- Luc Bannalec hat Charaktere entwickelt, auf die ich mich in jedem Band neu freue. Kommissar Dupin, der ewig unruhige, geniale Kopf, der Unmengen Espresso zu sich nimmt, um klar denken zu können, seine liebste Claire, die als Ärztin in Quimper arbeitet. Seine Mitarbeiterin Nolwenn und Inspektor Riwal, die als gebürtige Bretonen über ein unermessliches Wissen über die Mystik und Geschichte der Bretagne verfügen und dieses Wissen an jeder Stelle jedes Falls einbringen. Inspektor Kadeg, der in seiner Pedanterie doch liebevoll dargestellt ist und ebenfalls regelmäßig über bretonische Historie und Mystik referiert. Der Wirt des „Amiral“ in Concarneau, Dupins Lieblingsrestaurant in seiner bretonischen Lieblingsstadt, der so herrliche Gerichte zubereitet, dass man durch die Beschreibung, die der Autor zelebriert, Lust bekommt, selbst an den Herd zu gehen, ganz abgesehen davon, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft und man meint, den Geschmack der Speisen wahrzunehmen.

 

Ich hatte mir für diesen Urlaub bereits fünf Bücher gekauft und eingepackt, aber als ich beim Schlendern durch Flensburg den elften Fall des Kommissars Dupin entdeckte, musste ich ihn auch noch mitnehmen. Ich las ihn an einem Tag durch. Es war wieder so spannend und alle Sinne anregend, dass ich ihn nicht weglegen konnte, bevor nicht klar war, wie alles zusammenhing und am Ende Dupin mit seiner Claire wieder auf dem Balkon eines Hotels mit spektakulärem Ausblick aufs Meer vorzüglich speiste.

 

Die Fälle will ich hier nicht beschreiben. Viele Bände sind auch bereits verfilmt. Aber in den Filmen, von denen ich einige auch bereits sah, fehlt für mich die Sinnlichkeit, die beim Lesen der Bücher entsteht. Das Essen, die Luft und ganz nebenbei so viel Geschichte dieser französischen Region- das geht in den filmischen Umsetzungen verloren. Wer also Lust auf spannende Kriminalfälle gepaart mit einer alle Sinne anregenden Reise in die Bretagne hat, sollte die Bücher von Jean- Luc Bannalec unbedingt auf seine Leseliste setzen... und sie dann auch lesen, vor allem, wenn er/ sie mal Urlaub braucht und gerade keine lange Reise in der Realität unternehmen kann ;)