Mittwoch, 10. Juli 2019

Elisabeth Graver „Die Sommer der Porters“


Die Autorin sagte mir gar nichts und doch nahm ich das Buch mit auf meine Reise nach Frankreich. Es versprach Familiengeschichte über 60 Jahre und das interessiert mich immer.
Es geht um eine wohlhabende Familie in Massachusetts, die ein Sommerhaus auf einer felsigen Halbinsel besitzt. Dort verbringen sie ihre Sommermonate. Als die Kinder größer werden, werden neue Häuser gebaut und egal wie gut man sich versteht- die Sommer in Ashaunt- so der Name der fiktiven Halbinsel- sind jedem Einzelnen wichtig und es ist völlig klar, dass man den Sommer dort verbringt. 
Es ist ein anderes Leben dort, frei von Zwängen, naturverbunden und doch nicht ohne die gewohnten Annehmlichkeiten.
Elisabeth Graver lässt einige Charaktere besonders zu Wort kommen: eines der schottischen Kindermädchen (Bea), eine der Töchter (Helen), deren Sohn (Charlie). Aus ihrer Sicht schildern sie das Leben auf Ashaunt, ihre Schwierigkeiten mit dem Leben dort und im Allgemeinen. Aber auch die Liebe zu den Menschen, zum Sommersitz, zum Leben. 
Die Autorin wählt unterschiedliche Schreibweisen: erzählend aus Beas Sicht ohne sie als Ich- Erzählerin zu gestalten, Helen in Briefen und dann, ein paar Kapitel später ihre Sicht schildernd, Charlie ebenfalls als Hauptfigur über viele Seiten mit seiner Sicht auf sein Leben und das Verhältnis zu seiner Mutter und den Sommersitz.
Zwischenzeitlich schiebt sie Absätze ein, in denen zusammengefasst wird, was in den folgenden Jahren geschieht/ geschehen wird, so dass Fragen, die sich einem zu der einen oder anderen Person stellen, doch noch beantwortet werden.
Der Autorin gelingt es aus meiner Sicht, die Vielschichtigkeit des Lebens einzufangen und deutlich zu machen, von wie vielen Faktoren und Zufällen es abhängt, welche Richtung jemand nimmt. Niemals kann man sagen: wenn die Kindheit so oder so verläuft, wenn die Mutter sich so oder so verhält, wird das Kind sich in einer bestimmten Richtung entwickeln, sein Leben auf eine bestimmte Weise gestalten. NEIN! Es gibt eben kein Rezept und keine Garantie. Das Leben ist das Leben und es kommt, wie es kommt. 
Und doch konnte ich mich nicht gegen einen Gedanken erwehren: Das jüngste Kind der Porters, Janie, die zwar wenig Aufmerksamkeit von ihren Eltern erhielt, dafür aber von Bea, ihrem Kindermädchen, mit liebevoller Konsequenz durch ihre Kindheit begleitet wurde, war die entspannteste Erwachsene im Lauf der beschriebenen Jahre. Die beiden größeren Schwestern, die jede Freiheit genossen und kaum begrenzt wurden, litten später beide unter Depressionen und Selbstzweifeln, mussten im Krankenhaus behandelt werden oder unterzogen sich einer Psychoanalyse. Das bestätigte meine Grundhaltung, dass kleine Menschen Orientierung und eben liebevoll- konsequente Zuneigung benötigen, um sich gesund zu entwickeln. Vielleicht ist es Zufall, aber in dieser Geschichte wird genau das- aus meiner Sicht- bestätigt.
Auch meine Beobachtung im Alltag, dass Kinder, von denen die Mütter/ Eltern meinen, sie seien etwas ganz Besonderes, sich genau dagegen wehren und dieser Erwartung nicht gerecht werden wollen oder selbst sehen, dass das nicht gesund sein kann, hat sich in der Figur des Charlie bestätigt. Eine Situation am Ende seines vierten Schuljahres ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Er weiß, dass sein Mitschüler sich sehr angestrengt hat und eigentlich den Schuljahrespreis verdient hätte. Er sieht, wie angespannt seine Mutter bei der Preisverleihung ist und wie erleichtert, als er, Charlie, wiederholt den Schuljahrespreis erhält. Er empfindet ganz genau, wie ungerecht das ist und beschließt fortan, die Erwartungen seiner Mutter nicht mehr zu erfüllen. Bis er seinen Weg findet, vergehen viele Jahre, in denen er sich zwischenzeitlich beinahe selbst in den Wahnsinn treibt.
Dennoch würde ich keine pauschalen Urteile fällen oder meinen, es gäbe vielleicht doch ein Rezept. Wie ich schon schrieb: es ist von so vielen Faktoren abhängig, in welche Richtung das Leben einen Menschen treibt. Das wird in diesem Buch deutlich.
Schließlich noch ein letzter Gedanke:
Ich habe manchmal gedacht, ja, wenn man so ein Sommerhaus hätte… aber was dann? Die Welt ist so groß und es gibt so viele Orte, die ich mir anschauen möchte. Da kann ich doch nicht jedes Jahr an denselben Ort fahren?! Aber es wäre eben eine Konstante. Etwas, das den Porters und selbst deren Kindermädchen, einen Halt gab. Die Natur zu entdecken, sich das Wissen darum zu eigen machen, Rhythmen zu haben, Freunde zu sehen, ein offenes Haus zu führen… es ist eine Variante von vielen, das Leben (und den Sommer)zu genießen. 

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