Mittwoch, 30. Dezember 2020

David Grossman „Was Nina wusste“

„Vera ist, wie jeden Morgen, schon früh aus dem Haus gegangen, ihre ‚Alten‘ besuchen, die übrigens alle ein paar Jährchen jünger sind als sie. Die wird sie mit ihrer aufmüpfigen Lebensfreude betäuben… Danach wird sie mit zusammengepressten Lippen und energischen Armbewegungen, die enge rosa Badekappe auf dem Kopf, dreißigmal um das Schwimmbecken herumlaufen und dann auf ihrem Seniorenscooter zum Kibbuzfriedhof düsen- das Gesicht dicht an der Windschutzscheibe, den Po in der Luft, eine Lebensgefahr für jeden, der um diese Uhrzeit im Kibbuz unterwegs ist.“

 

Dieses Zitat macht den Ton deutlich, in dem dieses Buch geschrieben ist. Immer wieder musste ich lächeln. Dabei geht es auch um Krieg, Folter, Vertreibung, Tod von nahen Menschen und darum, was das Schweigen mit den Menschen macht, die davon betroffen sind. Diejenigen, die schweigen und diejenigen, denen das Schweigen begegnet. In erster Linie erzählt uns David Grossman aber die Geschichte von Vera, Nina, Rafi und Gili. Dieses Buch zu lesen und an vielen Stelle zu lächeln, an manchen zu weinen ist, wie es eben ist, das Leben. Es gibt Tragödien, aber es gibt auch Glücksmomente und manchmal ist beides nah beieinander. Und manchmal gelingt es, die Tragödien zu ertragen/ ertragbar zu machen, in ein anderes Licht zu rücken… wie auch immer… wenn man einem Menschen wie Vera begegnet, der pragmatisch, aber mit einem großen Herzen handelt.

 

Vera hat gerade ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert, als ihre Tochter Nina wieder auftaucht. Nina, die Mutter ihrer Enkelin Gili. So beginnt der Roman. David Grossman lässt Gili, die Enkeltochter, die bei ihrem Vater Rafi aufwuchs, weil ihre Mutter irgendwann verschwand, die Geschichte erzählen. Rafi drehte Filme, Gili trat in seine Fußstapfen. Die beiden beschließen, mit Nina und Vera in deren Geburtsland zu fahren und dabei Vera ihre Lebensgeschichte erzählen zu lassen. Für Nina. Für Gili. Und alles aufgenommen mit einer alten Sony- Handkamera. 

Dienstag, 29. Dezember 2020

Daniel Speck „Bella Germania“

Ich las von diesem Autor bereits das Buch „Piccola Sicilia“, über das ich hier noch schreiben werde.

Nun fiel mir dieses Buch in die Hände und ich las es mit der gleichen Begeisterung, wie jenes.

Eine große Liebe, Familiengeheimnisse, Familientraditionen, Ansprüche ans Leben- erfüllte und unerfüllte, das sind die wesentlichen Themen, die in diesem Buch zu einer spannenden und gleichzeitig sehr berührenden Geschichte verwoben werden. Gleichzeitig verfolgt man wie nebenbei auch die politische Entwicklung, da ja keiner der Protagonisten im luftleeren Raum lebt, sondern als mehr oder weniger aktiver Teil dieser Entwicklungen: der Lizenzvertag zwischen BMW und Rivolta über die Isetta, der mit Italien ausgehandelte „Gastarbeiter- Vertrag“, wie diese Menschen dann hier in Deutschland ankamen oder eben auch nach Jahrzehnten noch nicht dazugehörten, die RAF, die Olympiade 1972 mit ihren schrecklichen Ereignissen… 

Giulietta ist jung, Sekretärin in der Autofirma „Iso Rivolta“ in Italien und hatte während ihrer Ausbildung ein paar Deutsch- Sprachkurse besucht. Als der junge Ingenieur Vincent aus Deutschland nach Italien kommt, um sich im Auftrag seines Arbeitgebers BMW die „Isetta“ anzusehen und einzuschätzen, ob dieses Auto in Deutschland verkauft werden könnte, wird Giulietta als Übersetzerin zu den Gesprächen gebeten. So lernen die beiden sich kennen.

Natürlich ist Giulietta, ursprünglich von einer Insel südlich von Sizilien kommend, bereits einem Mann „versprochen“, weil das eben auf den Inseln so üblich ist. Aber Giulietta hat Träume, die sie in dieser Ehe vermutlich niemals wird realisieren können.

Vincent hat während des Krieges alles verloren. Keine Familie stützt ihn, alles hat er durch glückliche Umstände und eigene ehrgeizige Arbeit erreicht. In Deutschland ist zudem fünf Jahre nach Kriegsende alles im Aufbruch, in der Veränderung. 

Die beiden verlieben sich ineinander und beginnen eine heimliche Beziehung. Als Vincent zurück nach Deutschland fährt, will Giulietta mit ihm gehen. Sie will den Sprung wagen, will leben, lachen und sich ihren Traum vom Verkauf ihrer eigenen Mode- Entwürfe verwirklichen.

Aber es kommt anders. Die Traditionen, die Ehrfurcht vor der Mamma, die nun einmal etwas anderes bestimmt hat, halten Giulietta zurück. Sie heiratet den, dem sie versprochen ist, schenkt einem Sohn das Leben und ist fortan Mutter und Hausfrau. 

So weit der Anfang der Geschichte, auch wenn das Buch anders beginnt.