Freitag, 15. August 2014

Susanne Preusker „Die Verwahrten“

Es geht um die Sicherungsverwahrung. Das Thema ist umstritten. Es berührt einen sensiblen Bereich menschlicher Gesellschaften. 


Menschen sind soziale Wesen und leben als solche für gewöhnlich in Gemeinschaften zusammen. Sie brauchen den Kontakt, den Austausch mit anderen. Ließe man ein Neugeborenes ohne menschlichen Kontakt, würde es, selbst wenn es ausreichend Nahrung bekäme, sterben.
Damit jeder Einzelne in einer solchen Gemeinschaft sich wohlfühlt, werden Regeln vereinbart. Im Kleinen wie im Großen. Achtet jemand diese Regeln nicht, hat das Folgen für denjenigen. 
In der Tierwelt gibt es ebenfalls Gemeinschaften. Auch diese haben Regeln. Wenn sich dort jemand nicht an die Regeln hält, wird er getötet oder ausgeschlossen. Letzteres führt früher oder später ebenfalls zu seinem Tod.
Wir Menschen haben im Laufe der Jahrhunderte immer differenziertere Konsequenzen für diejenigen erdacht, die sich nicht an die Regeln, an die Gesetze halten. Nun gut. Es gibt Unterschiede. Nicht überall auf der Welt wird auch ein Täter als Mensch angesehen. In manchen Teilen der Erde, werden für unsere Vorstellungen furchtbar grausame Strafen vollzogen.
In den Teilen der Welt jedoch, die sich „zivilisiert“ und „demokratisch“ nennen, wird jeder Täter immer noch als Mensch gesehen. Egal wie massiv er gegen die Gesetze verstieß. Egal wie brutal er gegen andere vorging. Er bleibt immer noch ein Mensch. Und der Mensch in unserer Welt erhebt sich nicht über den Menschen. Jedenfalls wenn es nach den Gesetzen geht. Das ist gut so.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde auf Straftäter angewandt, die nach Verbüßung ihrer Strafe aus Sicht der Fachleute eine anhaltende Gefahr für die menschliche Gemeinschaft darstellten. Sie blieben eingesperrt, sicher verwahrt. Damit der Rest der Gemeinschaft sich sicher fühlte.
Die bisher geltende Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im StGB wurde nach einer Rüge seitens des europäischen Gerichtshofes am 4. Juni 2011 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Damit entstand eine schwierige Situation für die deutsche Gesellschaft. Sie musste Menschen aus der Sicherungsverwahrung entlassen, sie entschädigen. Solche Menschen, die eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellten. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage waren, das Leben anderer Menschen zu achten. Menschen, die Kinder töteten. Menschen, die unvorstellbare Grausamkeiten an anderen Menschen begangen hatten. Menschen, die, so die Fachleute, dies immer wieder tun würden.

Nun kann man fragen: Wer sind diese Fachleute? Wer maßt sich an zu entscheiden, zu wissen, dass ein solcher Mensch solche Taten immer wieder begehen wird? Genau das ist der Balanceakt. Genau das ist der Punkt, an dem die Geister sich scheiden. 

Das Buch „Die Verwahrten“ beschreibt dieses Dilemma. Aber nicht nur. Es geht auch um Strukturen, um Politik. Auch hier agieren Menschen. Und sie gehen nicht immer in positivem Sinne menschlich miteinander um. Dem Menschen sind eben auch negative Eigenschaften eigen, auch wenn er das gerne verleugnet. Auch wenn der Schaden, der anderen Menschen durch diese negativen Eigenschaften zugefügt wird, nicht so offensichtlich ist, wie bei Gewaltstraftätern. Auch wenn das schändliche Verhalten gut verborgen werden kann…

In Bezug auf die Sicherungsverwahrung lässt Susanne Preusker in ihrem Roman eine Sozialtherapeutin in einem Brief ausführlich beschreiben, wie sie diese Täter, wie sie dieses Urteil sieht. Sie lässt sie sagen: „Es gibt ihn nämlich, den gefährlichen Straftäter, der mit herkömmlichen und heute bekannten psycho- und sozialtherapeutischen Methoden nicht erreichbar ist. Es gibt ihn, den, dem nicht mehr zu helfen ist. Es gibt natürlich auch den, der sich in der reglementierten und reglementierenden Organisation „Gefängnis“ durchaus wohl fühlt, in dem eng gesteckten Rahmen gut zurechtkommt. Es ist nämlich ein kapitaler Fehler, unser akademisches, liberales Bildungsbürgertum geschwängertes Wertesystem eins zu eins auf jeden Insassen hinter geschlossenen Mauern zu übertragen. Mag sein, dass notorische Gutmenschen und vielleicht auch die Damen und Herren in ihren roten Roben das nicht gerne hören, aber die Realität lässt sich weder durch taube Ohren, noch durch feinsinnige juristische Abhandlungen oder durch akademische Diskussionen austricksen: Es gibt ihn wirklich, den nicht therapierbaren Kriminellen mit seinen eigenen Vorstellungen zu Werten, Normen, Menschenbildern oder Lebensentwürfen, die den unseren so gar nicht entsprechen wollen.“

Ja, der Mensch bleibt ein Mensch, egal, was er tut. Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben. Das ist gut so.

Aber, und auch diese Frage wirft Susanne Preusker auf: Wie kann es sein, dass von jedem Menschen in dieser Gesellschaft erwartet wird, dass er die Gesetze einhält, dass er sich anstrengt, dass er seinen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft leistet, nur von den Tätern nicht? Wie kann es sein, dass jeder Mensch, der Schwierigkeiten hat, sich selbst darum kümmern muss, diese zu überwinden, dass aber ein Mensch, dessen grausames Tun zum qualvollen Tod eines anderen Menschen führte (oder mehrerer), von anderen motiviert werden muss, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Dass dieser Verbrecher sogar dafür bezahlt wird, damit er seine Therapiestunden wahrnimmt?

Diese Geschichte hat mich sehr aufgewühlt. Vor allem, weil die Autorin so eindringlich beschreibt, was dieses System mit den Menschen macht, die darin arbeiten. Wie geht es den Strafvollzugsbeamten, den Psychologen und Sozialarbeitern im Strafvollzug, den Polizisten? Deren Tun wird permanent in Zweifel gezogen, ignoriert oder benutzt. Je nachdem, wie es gerade demjenigen Vorgesetzten nutzt, der eine Sprosse weiter nach oben klettern will auf seiner Karriereleiter.

Die zentrale Frage ist: Sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich?

Ich habe das Gefühl, dass auch in dieser Demokratie immer noch manche Menschen gleicher sind als andere… Die Gesetze werden schließlich auch von Menschen gemacht…

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