Dienstag, 9. Juni 2015

Jan- Philipp Sendker „Herzenhören“ und „Herzenstimmen“

Ich bekam das erste der beiden Bücher letztens geschenkt. „Herzenhören“ das klang für mich sehr esoterisch. Ein bisschen ist es das auch. Jedoch hat mich die Geschichte und die Sprache, in der Jan- Philipp Sendker sie verfasst hat, in ihren Bann gezogen.
Eine junge Frau, Julia Win aus New York, geht auf die Suche nach ihrem Vater. Er verschwand nach dem Tag ihres College- Abschlusses. Als hätte er nur darauf gewartet, dass sie auf eigenen Füßen steht. Vier Jahre sind seit seinem Verschwinden vergangen. Sie hat sich damit arrangiert, hat sich als Anwältin etabliert, aber die Gedanken an ihren Vater kehren immer wieder.
Als ihre Mutter ihr einige persönliche Dinge ihres Vaters zukommen lässt, entdeckt sie darunter einen Liebesbrief, den er vierzig Jahre zuvor an eine Frau in Birma schrieb… und sie entschließt sich, diese Frau zu suchen, in der Hoffnung dort auch ihren Vater zu finden.

Überwiegend erzählt dieses Buch die Geschichte des Vaters, den Teil seiner Geschichte, den weder Tochter noch Sohn noch Ehefrau kannten. Seine Kindheit und Jugend in Birma. Sie erzählt von einem Jungen, der erblindete und lernt mit seinen Ohren und seinem Herzen zu sehen. „Er hörte die Stimme nicht nur, er spürte sie auf seiner Haut, als ob zwei Hände ihn massierten.“ Sätze wie dieser nahmen mich für die Geschichte ein. So poetisch!
Auch wenn ich die Tatsache, dass das Gehör sensibler wird, wenn das Augenlicht verloren geht, an manchen Stellen ein wenig überzogen dargestellt fand, kam ich dennoch nicht los von diesem Buch. Es entspannte mich, diese Worte zu lesen, die sowohl die Landschaft als auch das Leben der Menschen in diesem fernen Land so intensiv beschreiben, das ich manchmal glaubte, alles vor mir zu sehen: das Teehaus, U Ba, der die Geschichte von Julias Vater erzählt, Mi Mi, die Empfängerin des Liebesbriefes, das Haus unter dem das Schwein lebt…
Auf dem Buchrücken steht, das die Erkenntnisse, die Julia gewinnt, die Tatsache, dass sie das Geheimnis der ersten zwanzig Jahre ihres Vaters lüftet, ihr Leben für immer verändert. Das empfand ich nicht so. Die Geschichte endet noch in Birma und ja, Julia ist berührt von ihren neuen Erkenntnissen und Erlebnissen und ja, sie kann ihren Frieden mit ihrem Vater schließen. Aber ob ihr Leben sich dadurch grundlegend verändert, bleibt offen.
Ein Satz von U Ba gegen Ende der Geschichte erklärt vielleicht, warum ich bis zum Ende fasziniert blieb von diesem Buch: „Nicht alles, was wahr ist, kann man erklären,…und nicht alles, was man erklären kann ist wahr.“

Dieser Satz, der bei aller Verankerung in der Realität, doch auch einen Teil meiner Lebenshaltung ausmacht, trug dann auch dazu bei, dass ich das zweite Buch „Herzenstimmen“ las. Ich verspürte anfangs starken Widerstand in mir, DAS zu lesen.
Julia hat ihr Leben nach ihrer Rückkehr aus Birma nicht verändert. Sie ist eine erfolgreiche und vielbeschäftigte Anwältin in einer großen New Yorker Anwaltskanzlei.
Und plötzlich hört sie eine Stimme. Nicht mehrere. Nur eine. Die Stimme einer Frau. Scheinbar einer leidenden Frau. Natürlich denkt Julia an Schizophrenie, an psychische Erkrankung, aber sie spürt doch, dass es etwas anderes sein muss… Ich muss zugeben: damit hatte ich meine Probleme.
Aber auch diese Geschichte las ich bis zum Ende. Vielleicht, weil auch Julia sich anfangs gegen die Erklärung wehrt, die ihr ein alter Mann für diese Stimme gibt. Dennoch reist sie wieder nach Birma, weil sie die Stimme loswerden will, weil sie verstehen will, woher diese kommt, weil sie nicht an die Heilung durch Tabletten glaubt und weil sie die vage Hoffnung hat, dass ihr in Birma geholfen werden kann.
Wieder schaffte es Jan- Philipp Sendker, mit seiner Sprache Bilder zu schaffen in meinem Kopf. In diesem zweiten Buch, in dem Julia ein verändertes Birma erlebt, eines, das unter der Herrschaft der Militärs steht, geht es wieder um das Sehen mit dem Herzen, um die Liebe zu anderen Menschen, zur Natur, um den Umgang miteinander… Auch hier gibt es zauberhafte Worte, nachdenkliche Sequenzen und Sätze, die mich innehalten lassen.
Am Ende des Buches ist die Stimme aus Julias Kopf verschwunden und dieses Mal verändert sie wirklich ihr Leben. So ganz glauben konnte ich das nicht, aber dazu bin ich vielleicht zu zögerlich, zu wenig mutig… oder mir geht es einfach zu gut, als dass ich mir eine Entscheidung wie sie Julia am Ende trifft, vorstellen könnte J

Auf jeden Fall sind beide Bücher ein Ausflug in eine andere Welt, geschrieben in einer wundervoll poetischen Sprache und mit Worten, die nachdenklich machen… sehr lesenswert!





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