Montag, 25. Mai 2015

Dörte Hansen „Altes Land“

Auch dieses Buch erzählt davon, wie die Vergangenheit in den Menschen bis in die Gegenwart hinein wirkt, wie sie das Verhalten jedes Familienmitgliedes beeinflusst, auch desjenigen, das diese Vergangenheit gar nicht erlebte.

Vera von Kamcke kam als Flüchtlingskind mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke aus Ostpreußen ins Alte Land. Alter ostpreußischer Adel stößt auf norddeutsche Bauern. Und ist auch noch von denen abhängig! Für die Mutter eine Katastrophe, der sie Zeit ihres Lebens mit kraftvoller Arroganz begegnet.
Vera, die damals Fünfjährige, betrachtet das Ganze mit den Augen eines Kindes… und fügt sich… so sehr, dass die Mutter, als sie selbst ein neues Leben beginnt, die Tochter dort lässt, auf dem Hof.  
Und dort ist Vera auch noch Jahrzehnte später. Sie hängt fest in diesem alten Haus, in dieser Gegend, wie Dörte Hansen sie oft sagen lässt. Sie hat keine Wurzeln im Alten Land, aber sie ist dort festgewachsen.

Vera bleibt erhobenen Hauptes in diesem Dorf im Alten Land. Sie kämpft erfolgreich, studiert und kehrt als Zahnärztin zurück. Und bleibt. Sie wird nie geliebt in diesem Ort, aber schließlich respektiert.

Später dann kommt ihre Nichte Anne mit Sohn Leon zu ihr auf den Hof. Die beiden Frauen ähneln sich. Als Anne auf dem Hof ankommt, heißt es im Text:
„Vera Eckhoff wusste nicht viel von ihrer Nichte, aber sie erkannte einen Flüchtling wenn sie ihn sah. … Weggejagt oder weggerannt, Bollerwagen oder Kleintransporter, das machte keinen großen Unterschied.“

Zunächst überwiegend schweigend leben die beiden Frauen in dem großen alten Haus, das Vera kurz nach dem Krieg mit ihrer Mutter betrat.
Doch sie kommen sich näher. Vera lässt sogar zu, dass Anne beginnt, das Haus zu reparieren. Das hat es dringend nötig. Vera hatte es nie gewagt. Ein Erlebnis aus frühester Kindheit hielt sie davon ab. Eine Haltung die sie tagsüber belächelte, aber nachts für sehr richtig hielt.

Dieses Buch ließ mich jeden Abend ein wenig melancholisch zurück. Es ist nicht traurig, das Leben von Vera. Aber es schwingt immer die traurige Vergangenheit mit. Bis am Anne kommt. Sie weicht Vera’s harte Schale auf. Vielleicht weil sie ähnlich traurig und störrisch ist wie Vera? Oder eben, weil sie doch auch ein bisschen anders ist.

Dieses Buch ist absolut lesenswert. Es erzählt mit leiser Melancholie von Sturheit, Pragmatismus, Aberglauben, von Flucht und Ankommen, von Liebe und Verlassensein… vom Leben dreier Generationen in einem alten Haus im Alten Land.

Einem Haus, an dessen Giebel geschrieben steht „Dit Hus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien.“

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