Freitag, 22. Mai 2015

Taije Selasi „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“

„Kweku stirbt barfuß, an einem Sonntag vor Sonnenaufgang, seine Hausschuhe kauern an der Tür zum Schlafzimmer, wie Hunde.“

So beginnt Taije Selasis Roman über eine Familie. Der Vater, Kweku ist Ghanaer, die Mutter, Fola, ist Nigerianerin. Sie lernen sich in Amerika kennen und lieben. Sie haben zusammen vier Kinder, die nicht viel wissen über die Wurzeln, die Geschichte ihrer Eltern… bis der Vater stirbt. Plötzlich. Unerwartet. So ist das mit dem Tod. Er kündigt sich nicht immer an.

Die Kinder, alle sehr begabt, hadern, jedes auf seine Weise, mit ihrem Leben. Kommen nicht wirklich an. Stoßen an unsichtbare Mauern, die sie selbst errichtet haben. Zum eigenen Schutz. Der aber nicht taugt. Nicht so. Nicht so lange. Das Land hinter den Mauern, das Land des Schmerzes, die Vergangenheit, sie existiert weiter, wirkt durch die Mauern hindurch. Es verhindert nicht das Leben, wohl aber das Glück, das wirkliche, tief empfundene. Immer ist es vermischt mit einem Tropfen Bitterkeit, mit einer leicht schmerzenden, nicht zu artikulierenden Sehnsucht.

Bis sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters erreicht.

In diesem Moment, reißen die Mauern, bekommen feine Risse, die immer breiter werden. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr verdrängen.

Alle vier Kinder reisen nach Ghana, wohin ihr Vater zurückkehrte, wo inzwischen auch ihre Mutter lebt… Diese Begegnung der Familie in ihrer ursprünglichen Form aus diesem traurigen Anlass birgt die Chance zu Erkenntnis, zu Verständnis, zu Trauer und damit auch zu Heilung.

Die Geschichte hat mich tief berührt. Sie macht deutlich, wie wichtig es ist, seine Wurzeln zu kennen, die eigene Geschichte, aber auch die Vergangenheit der Familie. Erkenntnis, Wissen, das es erst ermöglicht, das eigene Leben zu verstehen, es gestalten und wirkliches Glück empfinden zu können. 
  
Taije Selasi beschönigt nichts, aber sie beschreibt alles mit so poetischen Bildern, das ich nicht umhin kann, einige hier aufzuführen:

„… und dann bildeten sich die ersten Tränen, locker, wie Kumuluswolken. Sie verschleierten seinen Blick, noch zu unreif, um zu fließen. Sie dienten dazu, die Umrisse zu verwischen, ein Filter…“

„Während der Schnee draußen vor dem Fenster auf sich selbst fällt, so lautlos wie hoffnungslos, noch mehr weiß auf weiß.“

„Das spezielle Inseldasein einer Toilette, ein Trost.“

„… ihre Gedanken schweifen ab, so wie Gedanken das tun in der Hitze, während man wartet und still dasteht und noch ganz viel Zeit hat, eine Art Hohlraum, in den die Vergangenheit eindringt, weil sie sieht, da ist Platz.“

Viel Trauer schwingt in diesem Buch, aber auch Hoffnung. Die folgenden Sätze drücken für mich die Essenz dieses Buches aus:

„Wir haben getan, was wir konnten. Was wir gelernt haben. Und das haben wir gelernt. Verlassen. Weggehen. … Wir waren Immigranten. Immigranten gehen weg. … Wir haben uns geliebt. … Wir haben gelernt, wie man liebt. Sie können jetzt lernen, wie man bleibt.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich immer über Nachrichten/ Kommentare und daraus entstehenden Austausch :)