Montag, 25. Mai 2015

J. Courtney Sullivan „Sommer in Maine“

Alice, Kathleen, Ann- Marie, Maggie. Mutter, Tochter, Schwiegertochter und Enkelin erzählen von ihrem Leben in dieser Familie, der Familie Kelleher.

Es ist wie das Leben in allen Familien. Es hat glückliche Zeiten und Zeiten der Trauer. Es hat liebevolle Momente, die einen in der Erinnerung daran immer wieder lächeln lassen. Und wie in allen Familien fügen auch in dieser die einzelnen Personen einander Verletzungen zu, die Narben fürs Leben hinterlassen.
Die Mutter, Alice hat in ihrer Jugend ihre jüngere Schwester verloren.
Sie meint, eine Schuld am Tod ihrer Schwester zu tragen und wird diesen Gedanken ihr Leben lang nicht los. Sie heiratet und bringt drei Kinder zur Welt. Ihr Mann liebt sie aufrichtig und ist, so wie er von allen, die in diesem Roman zu Wort kommen, beschrieben wird,der perfekte Ehemann und Vater. Immer fröhlich, ausgeglichen, verständnisvoll… und immer wieder stützt er seine geliebte Alice. Doch die kann nicht wirklich lieben. Nicht etwa, weil sie sich als Kind von Vater und Mutter nicht besonders geliebt fühlte. Nein, es ist die Schuld, die sie meint zu tragen. Sie erzählt keinem Menschen jemals die ganze Geschichte, die sich an jenem Abend zugetragen hat, was es für sie noch schwieriger macht, den Tod ihrer Schwester als dramatischen Unfall anzusehen. Ich habe irgendwann vorgeblättert und die Stelle gesucht, an der ich endlich erfuhr, was damals im Einzelnen geschah… ich konnte diese Seelenqual von Alice nicht länger ertragen, die immer nur angedeutet wurde. Als ich dann wusste, wie es abgelaufen war, konnte ich Alice verstehen… vermutlich ist es schwer, sich so etwas je zu verzeihen…

Die Folgen dieses sich- selbst- nicht- verzeihen- Könnens hat nicht nur sie selbst, sondern hatten vor allem auch ihre Kinder zu tragen. Die Verletzungen, die Alice ihnen zufügte, verarbeitete jeder auf seine Weise. Bei Kathleen, der Ältesten waren die Folgen besonders schlimm: sie verfiel, wie auch ihre Mutter eine Zeit lang, dem Alkohol. Nachdem sie davon losgekommen war, suchte sie das Weite.
Clare, die mittlere, kommt in dem Buch nicht selbst zu Wort. Aber auch sie sucht nicht gerade die Nähe ihrer Mutter.
Patrick, der jüngste und das liebste Kind seiner Mutter, ist mit Ann- Marie verheiratet, die ihrer Schwiegermutter besser gefällt, als ihre leiblichen Töchter. Aber auch sie fällt schnell mal bei Alice in Ungnade.

Es ist manchmal schwer zu ertragen, Alices Gedanken über ihre Kinder zu lesen oder zu erfahren, wie sie mit ihnen umgegangen ist, was sie auch heute noch dem einen oder anderen antut. Wirkliche Zuneigung zu dieser alten Dame zu entwickeln fällt nicht leicht.

Dieser Roman bietet keine Lösungen an. Er erzählt vom Leben einer Familie mit den Worten von vier Frauen dreier Generationen. Am Ende war ich zunächst etwas ratlos. Fragte mich, wie es weitergehen könnte. 

Aber letztlich ist es das Leben in Familien, das J. Courtney Sullivan beschreibt und das geht immer weiter. Irgendwie. Mal glücklicher, mal weniger glücklich. Jeder einzelne in dieser Familie meistert sein Leben, aber eine gewisse Schwere bleibt... die Vergangenheit wirkt in jedem von ihnen fort, mit all den Momenten, die das Leben nun einmal ausmachen. 

Wie Leo Tolstoi in seinem ersten Satz in „Anna Karenina“ schreibt:  „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“

Diese Familie ist aus meiner Sicht keine durchweg unglückliche Familie, aber zu den glücklichen Familien zählt sie auch nicht... vielleicht ist das irgendwie in allen Familien ein bisschen so?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich immer über Nachrichten/ Kommentare und daraus entstehenden Austausch :)