Sonntag, 3. April 2016

Harry Mulisch „Das Attentat“

Bereits 1982 erschien dieser Roman in den Niederlanden, 1986 dann in deutscher Sprache. Also wird der Eine oder Andere ihn bereits kennen. Ich bekam ihn wieder von meiner lieben, niederländischen Kollegin, die mir auch schon „Die Entdeckung des Himmels“ vom selben Autor schenkte. 
„Das Attentat“ ist ein vergleichsweise kurzer Roman, leichter zu lesen, weil der Autor nicht ganz so viele Querverbindungen in alle möglichen Richtungen zieht, wie in jenem anderen Buch, über das ich auch schon hier schrieb.
In „Das Attentat“ wird die Lebensgeschichte eines Menschen erzählt, der als kleiner Junge miterlebt, wie sein Elternhaus von den deutschen Besatzern abgebrannt wird. In einem Moment sitzt die Familie noch um den Tisch und spielt ein Würfelspiel und im nächsten steht das Haus in Flammen und seine Eltern und sein Bruder sind verschwunden. Er weint nicht. Er ist ganz still. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass er in dieser Stille, sein Leben lang verharrt.
Ich dachte manchmal, dass er doch irgendwann einmal nachforschen wird, genaueres wissen will… aber nichts dergleichen. Ja, er geht da mal hin, ja, er besucht auch die ehemaligen Nachbarn, aber was er erfährt, erfährt er stets nur, weil andere es ihm erzählen ohne dass er wirklich gefragt hätte.
Dieser Mann wirkt auf mich fast gestaltlos, vom Winde verweht… so als würde er jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Harry Mulisch hat es geschafft, mit diesem Roman etwas deutlich zu machen, was vermutlich viel verbreiteter ist als Hass und Wut auf diejenigen, die damals, auch noch in den letzten Kriegstagen, furchtbare Verbrechen begingen: die innere Emigration. Ja, diese Menschen leben ihr Leben, sie heiraten, ziehen Kinder groß, lassen sich wieder scheiden, heiraten erneut. Sie nehmen am gesellschaftlichen Leben teil, gehen in Konzerte, besuchen Freunde… aber sie haben in sich einen Teil von sich eingesperrt. Sie sind nirgendwo ganz dabei, da dieser Teil in ihnen nicht teilnimmt. Es ist der Schutzreflex eines Kindes, um nicht an dem Schmerz zu zerbrechen, der dazu führt, dass intensive Emotionen niemals wieder zugelassen werden.
Faszinierend war für mich, wie Mulisch das darstellt und befriedigend, dass er nach und nach doch noch erklärt, wie alles zusammenhing damals, im Januar 1945. Hat man die ganze Zeit das Verhalten der Nachbarn in jener Nacht nicht verstanden, gerät man ganz am Ende ernsthaft ins Grübeln, wie man selbst sich verhalten hätte. Die Grausamkeit dieser Zeit ist wohl von uns, die wir nie in solch elementare Situationen gerieten, niemals in ihrem ganzen Ausmaß nachzuvollziehen.


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