Mittwoch, 27. Dezember 2017

Jung Chan "Wilde Schwäne"

Das Buch erzählt die Geschichte einer Familie im China des 20. Jahrhunderts. Im Besonderen geht es um drei Frauen, Großmutter, Mutter und Tochter. Die Tochter erhält 1978 ein Stipendium für ein Studium in England. Erst dort und auch erst nachdem klar ist, dass sie in England bleibt, dass ihre Ängste, man würde sie betäuben und in einem Jutesack zurück nach China schaffen, unbegründet sind, als sie ihre große Liebe findet und nachdem ihre Mutter ihr bei einem Besuch 1988 wochenlang Geschichten erzählt und noch 60 Stunden Geschichten auf Kassetten hinterließ, erst da beginnt sie, Jung Chan, die Lebensgeschichten ihrer Großmutter, ihrer Mutter und ihre eigene aufzuschreiben.

Das Buch ist ein faszinierendes Portrait der chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts mit all seinen Grausamkeiten, Revolutionen und Idealen. Angefangen bei der Großmutter, der man im Alter von zwei Jahren die Füße mit einem Stein zertrümmerte und zusammenband, da dies dem damaligen Schönheitsideal entsprach, über den Sturz der Mandschu- Dynastie, die Zeit der Republik, die japanische Invasion bis hin zur Proklamierung der Volksrepublik China und die Kulturrevolution unter Mao.
Es war nicht immer leicht, weiterzulesen. Dieses Buch ist kein Roman in dem Sinne, dass man beim Lesen entspannen kann. Und doch ist es eine Geschichte, von der man sich mitreißen lassen kann. Es ist ein Leben, drei Leben genauer gesagt. Es beschreibt die Geschichte eines Landes, das sich lange von der Welt abschottete, über das darum niemand so ganz genau wusste, was dort vor sich ging. Durch dieses Buch erhält man einen Blick auf China, der aus der Perspektive eines Menschen gegeben wird, der das alles zu einem großen Teil selbst erlebt hat. Besonders erschreckend fand ich, neben den physischen und psychischen Grausamkeiten, wie Jung Chan ihre Haltung gegenüber Mao beschreibt. Sie hat ihn nicht nur nicht in Frage gestellt, sie zweifelte an sich, wenn sie kritische Gedanken hatte. Indoktrination nennt sie das. Sie wuchs damit auf, dass Mao der große Führer ist, dass Mao niemals angezweifelt werden kann, dass er gottgleich ist. Und dass jeder, der nur zweifelt bereits als Verräter behandelt wird. Das ist der Mechanismus der Diktatur: forme die Kinder und du hast gefügige Gefolgsleute. Wie diese und die Geschichte anderer Diktaturen zeigt, funktioniert das nie auf Dauer.
An manchen Stellen ist das Geschehen in diesem Buch so grausam, dass man sich fragt, wie Menschen das aushalten, wie sie damit leben, weiterleben, ja sogar lieben und Familien gründen konnten. Aber das ist wohl das Leben selbst, es erhält sich und fragt nicht nach äußeren Bedingungen.


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