Sonntag, 18. Juli 2021

Daniel Speck „Piccola Sicilia“ und „Jaffa Road”

Ich schreibe hier über zwei Bücher in einem Beitrag, weil „Jaffa Road“ die Fortsetzung der Geschichte aus „Piccola Sicilia“ erzählt. Man kann beide Bücher auch unabhängig voneinander lesen, aber insbesondere bei „Piccola Sicilia“ bleiben dann Fragen offen. Als ich das Buch kaufte, wusste ich nicht, dass es eine unvollständige Geschichte enthält. Einmal begonnen, fiel es mir schwer, das Buch wegzulegen, aber 615 Seiten liest man nicht an einem Stück, man muss ja auch mal was essen oder trinken oder sich bewegen… Jedenfalls wusste ich am Ende des Buches, dass ich die Fortsetzung unbedingt lesen müsste, was ich nun, da das Buch erschien, auch umgehend tat.

 

Nina, eine junge Archäologin, erhält einen Anruf von einem Studienfreund, der vor der Küste Siciliens das Wrack eines deutschen Flugzeugs aus dem zweiten Weltkrieg geortet hat, das er heben will. Darin fand er eine Kamera mit eingravierten Initialen. Diese Kamera könnte Ninas Großvater, Moritz Reincke, gehört haben, der als Fotograf der Wehrmacht in Tunis stationiert war und nie zurückgekehrt ist. Ihre Großmutter Fanny, mit der er sich verlobt hatte, war schwanger, als er in den Einsatz ging. Seine Tochter Anita hat er nie kennengelernt. Seine Enkeltochter Nina hatte nie erschöpfende Antworten auf ihre Fragen nach dem Großvater erhalten. Obwohl oder gerade weil Nina gerade die Trennung von ihrem Ehemann verarbeiten muss, begibt sie sich nach Sizilien, um Patrice bei seiner Arbeit zu helfen.

Vor Ort lernt sie Joëlle Sarfati kennen, die behauptet, die Tochter von Ninas Großvater zu sein. Nina ist verwirrt und fragt sich: „Wenn das Fundament, auf dem die eigene Welt gebaut ist, nicht der Wahrheit entspricht, wie leicht ist man dann zu erschüttern?“ Auch Joëlle ist verwirrt, war sie doch der Meinung, dass Maurice, wie Moritz für sie hieß, zurück nach Deutschland gegangen war und dort mit seiner „anderen“ Familie gelebt hätte. Sie ist überzeugt davon, dass Moritz‘ Überreste in dem Wrack nicht zu finden sein werden, sondern dass er noch lebt, auch jetzt noch. Ein alter Mann, der mehrere Leben lebte und dessen Gegenwart sie zu spüren meint. 

 

In „Piccola Sicilia“ erzählt Daniel Speck, die Lebensgeschichten von Moritz Reincke, Nina und Joëlle. Die Geschichte von Moritz Reincke endet in diesem Buch kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Moritz flieht mit Joëlles Mutter Yasmina, einer Jüdin, und Joëlle nach Palästina. 

In „Jaffa Road“ wird dann sein weiteres Leben erzählt und es stellt sich heraus, dass Joëlle mit ihrer Vermutung, er würde noch leben, recht hatte. Dieses zweite Buch kann man auch lesen, ohne das erste zu kennen, da entsprechende Bezüge hergestellt werden. Aber umfassender ist es natürlich beide zu lesen. 

Samstag, 17. Juli 2021

Regina Scheer „Machandel“

Dieses Buch las ich schon vor einiger Zeit und als ich nun darüber schreiben wollte, blätterte ich noch einmal darin… und las mich erneut fest daran. Nicht dass ich mich nicht mehr an den Inhalt erinnert hätte, aber die Geschichte zog mich wieder in ihren Bann. Und natürlich wusste ich nicht mehr jedes Detail. Das war ja der Grund, warum ich dieses Blog vor sieben Jahren einrichtete. Ich lese viel und tauche mit Begeisterung in die Geschichten ein. Aber wenn eine Zeit vergangen ist, dann weiß ich entweder den Namen des/ der Autor_in nicht mehr oder der Titel fällt mir nicht ein oder ich erinnere wesentliche Details nur noch ungenau. Aufgrund einer beruflichen Veränderung kam ich in den vergangenen vier Jahren kaum noch dazu, über die Bücher zu schreiben, die ich las- immerhin das Lesen konnte ich mir trotz der vielen Arbeit erhalten J

Doch nun habe ich mir vorgenommen, wieder öfter zu schreiben und eben auch über Bücher, die ich in den zurückliegenden Jahren las und über die ich noch nicht schrieb.

Nun also zu „Machandel“. Der Titel ist gleichzeitig auch der- fiktive- Name eines Dorfes im Norden des Landes Brandenburg. In diesem Dorf entdeckt eine junge Frau, Clara, im Jahr 1985 eine verfallene Kate. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael, beginnt sie, diese herzurichten und bewohnbar zu machen. Ein Refugium entsteht. 

In den Ort kam Clara, weil sie ihren älteren Bruder Jan begleitete. Der hatte in Machandel seine Kinderjahre bis zur Einschulung verbracht und wollte sich von dem Dorf verabschieden. Er hatte einen Ausreiseantrag gestellt und würde am nächsten Tag die DDR verlassen.

Regina Scheer erzählt in ihrem Roman von den letzten Jahren der DDR, von der Bürgerrechtsbewegung, aber auch von der Zeit des zweiten Weltkrieges, von Flucht und Vertreibung und vom Schweigen, wie es in vielen Familien existiert. Mit einem Zitat des jüdischen Gelehrten Rabbi Israel ben Elieser macht Regina Scheer den Grundton des Buches deutlich: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“

Donnerstag, 15. Juli 2021

Juli Zeh „Über Menschen“

Jochen, der Rochen ist eine Hündin, Dora, heißt so (behauptet sie mal eben kurz), weil ihr Haus in Dorfrandlage liegt und ein Dorfnazi ist Doras rechter Nachbar- echt jetzt!

Dora, eine Werbetexterin kauft sich ein Haus in der Prignitz und zieht zu Corona- Zeiten aus Berlin dorthin. In Berlin lebte sie mit ihrem Freund in einer Altbauwohnung, nun lebt sie allein im Nirgendwo. In einem Ort, in dem es weder einen Supermarkt, noch einen Bäcker oder sonst irgendeinen Laden gibt. Bald wird ihr klar, dass es kein „Schwarz- Weiß“ gibt, dass die Gewissheiten, mit denen sie bisher lebte, sich in diesem kleinen Dorf auflösen wie Zucker im Kaffee. 

Wenn der Nachbar zur Rechten, nicht nur rechts von einem wohnt, sondern auch ein bekennender Neonazi ist, wenn der Nachbar gegenüber von „Pflanzkanacken“ spricht und damit die Erntehelfer meint… kann man dann mit denen überhaupt reden? Ja, kann man an so einem Ort überhaupt leben? Da muss man sich doch abgrenzen! Aber so einfach ist das Leben eben nicht. Das macht Juli Zeh in ihrem Buch so wunderbar deutlich. 

Sie lässt uns teilhaben an der Wandlung, die in der Werbetexterin Dora vor sich geht und bewirkt durch ihren Schreibstil, dass man sich beim Lesen selbst hinterfragt- jedenfalls ging mir das so.

Es geht in diesem Buch um Stadt und Land, um Nazi und Gutmensch, um Corona, um Arbeit und Burnout, und bei all dem letztlich um Menschlichkeit. Wie gehen wir miteinander um, wann ist der Mensch ein Mensch etc.

 

In Bezug auf die Corona- Krise lässt die Autorin Dora an einer Stelle sagen, was für das Leben insgesamt gilt:

Meistens besteht das Leben aus Trial an Error, und der Mensch kann viel weniger begreifen und kontrollieren, als er glaubt.“

 

Und an einer anderen Stelle allgemeiner/ die gesellschaftliche Situation betreffend: „Die Tragik unserer Epoche,…, besteht darin, dass die Menschen ihre persönliche Unzufriedenheit mit einem politischen Problem verwechseln.“

 

Dieses Buch ist hochaktuell, witzig, nachdenklich und relativiert so manche Hysterie unserer Zeit.