Donnerstag, 5. November 2015

Rolf Lappert „Über den Winter“

Was will der Autor mir mit seinem Text sagen? Diese Frage stellte ich mir beim Lesen dieses Buches immer wieder. Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann heller werden würde, der Frühling käme, sozusagen. Nicht nur in der Natur, sondern auch im Leben des fast fünfzigjährigen Protagonisten Lennard Salm. Aber kann noch Frühling kommen im Herbst des Lebens? Oder geht es nur noch abwärts und hat alles eh keinen Sinn mehr?  
Salm, wie Lennard Salm meistens nur kurz heißt, hatte wohl eine Mutter, die unfähig war, ihren Kindern Wärme und Liebe zu geben. Die „nordische Königin“ nennt er sie. Der Vater war auch ein Opfer ungünstiger Lebensumstände, aber für ihn empfindet der Sohn liebevolle Zuneigung. Aus meiner Sicht der einzige, flackernde Lichtstreif. Der Vater wird beschrieben als einer, der selbst immer freundlich und verständnisvoll war. Der Sohn erlangt mit provokativer Kunst Berühmtheit, lebt eine Zeit lang in New York…
Der Leser lernt ihn jedoch erst kennen, als er in einer tiefen Sinnkrise steckt. Winter außen wie innen. 
Seine älteste Schwester stirbt, als er gerade irgendwo an einem Strand vom Meer angeschwemmtes Menschengut sortiert. Die Gegend wirkt morbide. Auch die durch Sicherheitsanlagen von der Umgebung abgeschottete Ferienhaussiedlung, die beschrieben wird. Einzelne farblose, durchhängende Gestalten besiedeln sie noch und wehren sich gegen Steine werfende Jugendliche in der Nacht. Wo dieser Strand sich befindet? Ich weiß es nicht. Ich denke, er ist bewusst nicht mit Namen versehen worden, weil es so viele solcher Strände gibt und so viele Ferienhaussiedlungen, gegen die einheimische, arbeitslose Jugendliche aufbegehren?
Jedenfalls reist Salm nach Hamburg, um an der Beerdigung seiner Schwester teilzunehmen. Er beschreibt diese Stadt als düster, und verkommen. Wilhelmsburg, wo sein Vater wohnt, muss entsetzlich heruntergekommen sein. Nichts dort ist schön. Auch dort alles am Zerfallen. Die Straße löchrig und nur notdürftig geflickt, die Haustür zerkratzt und beschmiert, die Läden überwiegend geschlossen…

Ja, klar, es gibt das alles. Gerade im Winter ist es dann besonders schlimm. Und wegen des fehlenden Lichts verfallen gerade im Winter viele in Depression. Weiß man ja. Aber muss man das auf dreihundert Seiten beschreiben? Welchen Sinn hat das?

Salm scheint durchaus sehr warmherzig zu sein. Er hilft einer alleinerziehenden Mutter und einer alten Frau. Er kümmert sich um ein halbverhungertes Pferd, das einem Jugendlichen aus dem Haus zuläuft. Er versucht, dem Jungen einen gewissen Halt zu geben. Er liebt seinen Vater und seine jüngere Schwester Bille. Das ist alles sehr sympathisch. Dennoch scheint ihm sein eigenes Leben aus den Händen zu gleiten. Wenn man ihn betrachtet, seinen Gedanken lauscht, seinen Schritten folgt, sich anschaut, was er sieht… dann spürt man diese Schwere, diese Aussichtslosigkeit, die er empfindet. Aber ich fragte mich immer wieder: Warum? Warum ist für ihn alles so düster? Weil seine Schwester starb, zu der er kaum Kontakt hatte? Ist es, WEIL er kaum Kontakt zu ihr hatte, kaum etwas von ihr wusste? Oder hat der Mann einfach nur das, was allgemein als Midlife- Crisis bezeichnet wird?

Ich merkte, während ich las, dass ich selbst zeitweise ganz melancholisch wurde. Das lag sicherlich daran, dass Rolf Lappert sehr detailreich und wortgewaltig die Menschen und ihre Umgebung beschreibt. Darum habe ich das Buch auch bis zu Ende gelesen. Diese Sprache gefiel mir. Und wie gesagt: ich hoffte, die ganze Zeit, dass sich irgendetwas auftut für Lennard Salm, dass es wenigstens ein klitzekleines Zipfelchen Hoffnung gäbe. Aber nein. Eine solche Fortsetzung muss der Leser, wenn er denn will, sich selbst ausmalen.




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