Heute schreibe ich wieder über zwei Bücher. Wieder wusste ich nicht, als ich 2021 das erste Buch las, dass es eine Fortsetzung geben würde, auch wenn diese am Ende irgendwie angelegt war…
Jedenfalls sind beide Bücher sehr lesenswert und entsprechen meinem Interesse an der Verbindung von Gegenwart und Geschichte in einem Roman.
In “Stay away from Gretchen“ geht es um Tom Monderath, einen erfolgreichen Fernsehmoderator, einigermaßen arrogant und nicht besonders sympathisch, der sich plötzlich mit der Alzheimer- Erkrankung seiner Mutter konfrontiert sieht. Durch diese Erkrankung macht sie Äußerungen, die ihn aufhorchen lassen und nach und nach kommt er zu der Erkenntnis, dass er eine Halbschwester hat, von der seine Mutter niemals sprach. In Rückblenden wird von der Flucht der Mutter am Ende des zweiten Weltkrieges erzählt, von ihrer Verbundenheit mit dem Großvater, mit dem sie floh, von der Zeit der Not, des Schwarzmarktes, des immer gerade- so- Überlebens. Und von Gretchens erster und einziger großer Liebe zu einem amerikanischen GI. Susanne Abel erzählt so, dass ich immer weiterlesen wollte, ich lachte, fieberte und litt mit den Protagonisten und mir wurde wieder bewusst, in welcher unglaublichen Freiheit wir leben. Welche Entscheidungen wir treffen dürfen, die damals jungen Frauen nicht möglich waren.
Im Laufe der Recherche nach seiner Halbschwester, verändert sich Tom Monderath. Er wird sympathischer und man versteht immer mehr, wie sehr seine Arroganz auch ein Schutzpanzer war, den er sich zulegte, um das Leid seiner Mutter, die an Depressionen litt, nicht zu sehr spüren zu müssen. Gegen Ende des Romans gibt er über eine Internetseite eine DNA- Analyse in Auftrag, um feststellen zu können, ob die Person, die er fand, tatsächlich seine Halbschwester ist. Im Ergebnis erhält er zwei weitere Übereinstimmungen zu anderen, männlichen, Personen, die er aber zunächst ignoriert.
Und damit beginnt dann das zweite Buch. Einer der Männer, Henk aus den Niederlanden, mit denen es laut DNA- Analyse Übereinstimmungen gab, hat sich bei Tom gemeldet und möchte ihn gern treffen. In diesem Fall besteht die Übereinstimmung mit dem Vater von Tom. Im Laufe dieses zweiten Romans lernen die beiden sich kennen und staunen über die Gemeinsamkeiten, die sie haben, obwohl sie „nur“ die Gene gemeinsam haben. Sie haben nichts voneinander gewusst, sind sich zuvor nie begegnet, hatten keinerlei Umgang mit Personen, die sie beide kannten und doch verhalten sich Henk und Tom in manchen Situationen genauso wie der andere.
In diesem zweiten Roman wird in Rückblenden das Leben des Vaters von Tom erzählt. Auch hier wird das Drama des zweiten Weltkrieges und des verbrecherischen Systems, das ihn angezettelt hat, sehr deutlich beschrieben. Wie es in jede Familie hineinwirkte, welche tiefen Verletzungen es hinterließ und welche Auswirkungen das Schweigen über die Ursachen der immer noch sichtbaren Narben auf die nachfolgenden Generationen hat…
Es geht aber auch um die Anfänge der künstlichen Befruchtung und um das Gegenteil- die Verhütung von Schwangerschaften. Da die Forschung dazu in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte besonders vorangetrieben und unmenschliche Methoden angewandt wurden, lassen die Rückblenden, in denen das Leben des Vaters von Tom erzählt wird, Einblicke in jene Zeit zu, an die sich so manch einer nach wie vor nicht erinnern will.
Susanne Abel stellt diesem Roman wohl darum auch ein Zitat voran:
„Es gibt keine Geheimnisse, die die Zeit nicht irgendwann offenbart.“
(Jean Racine, Britannicus, 1669)
Und sie schreibt im Nachwort: „Über das Wesentliche nicht reden zu können aus Angst, das Gesagte würde das brüchige Fundament ins Wanken bringen, zieht sich durch beide Zeitebenen meines Romans. Die zerstörerische Sprengkraft des Schweigens ist mir bestens vertraut. Doch ich weiß: Die Wahrheit bahnt sich ihren Weg. So oder so!“
Es gibt wohl kaum eine Familie, in der es nicht irgendein Geheimnis gibt. Sicher haben nicht alle diese Geheimnisse diese Dimension, wie in den beiden Gretchen- Romanen von Susanne Abel, aber sie wirken… kurioserweise wirkt besonders das, was verschwiegen wird. Es ist mir ein Rätsel, wie das funktioniert, aber es gibt ja schon einige Forschung dazu… Ganz offensichtlich wird doch viel mehr in den Genen weitergegeben, auf das dann die Umwelt nur bedingt Einfluss hat… aber das wäre ein Thema für einen eigenen Text, den ich vielleicht irgendwann schreibe, wenn ich mehr dazu recherchiert habe…
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