Eine Geschichte über Flucht und deren Folgen.
Eine Mutter flieht mit zwei Töchtern (Anastasia und Helene), ihrer Schwester und deren Sohn aus Breslau, dem heutigen Wrozlaw. Es gelingt ihnen in den letzten Zug aufgenommen zu werden und später werden ihnen sogar Sitzplätze organisiert. Damit dies alles möglich ist, müssen die beiden Mütter den Soldaten, die den Zug begleiten, „zur Verfügung stehen“. Die Kinder bekommen das zwar mit, wissen aber nicht wirklich, was geschieht.
Es ist Winter und eisig kalt. Es gibt so gut wie nichts zu essen, man kann sich nicht waschen und bekommt nur selten etwas zu trinken. So geht das tagelang. Niemand weiß, ob der Zug es schafft, wie lange sie unterwegs sein werden, ob sie diese Fahrt überleben.
Die zweite Erzählebene spielt in der heutigen Zeit. Lilith, die Tochter von Anastasia steht vor einer Entscheidung, die ihr Leben stark verändern kann. Da sie unentschlossen ist, lädt Anastasia sie zu einer Reise nach Wrozlaw ein… und sie beginnt zu erzählen, was damals geschah.
Lilith erfährt Dinge, über die noch nie geredet wurde und beginnt langsam zu verstehen, was sie nie begreifen konnte. Der Titel des Buches bezieht sich genau auf dieses Gefühl: dieses Stochern im Nebel. Man spürt, dass da etwas ist, aber selbst auf Fragen erhält man keine Antwort oder nur Erklärungen, die den Nebel nicht lichten, weil sie ausweichend gegeben werden…
Diese Geschichte macht in Romanform deutlich, was Sabine Bode in ihren Büchern „Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“ und „Kriegsenkel“ herausgearbeitet hat: all die Schrecken des Krieges und der Flucht verlieren sich nicht, indem man einfach nicht darüber redet. Im Gegenteil: die verdrängten schrecklichen Erlebnisse verwandeln sich in Ängste und Verhaltensweisen, die dazu beitragen, dass die Schrecken von Generation zu Generation weiterwirken.
Ich denke, dass dies für alle Geheimnisse gilt, die es in Familien gibt. Jeder Schrecken, der nicht verarbeitet wird, gärt weiter, prägt das Verhalten und wird so ungewollt auf die Kinder und Kindeskinder übertragen. Das Schlimme daran ist, dass die folgenden Generationen sich manche Gefühle oder Verhaltensweisen nicht erklären können, denn sie selbst hatten diese Erlebnisse ja nicht. Wenn nicht, wie Anastasia in diesem Buch, diejenigen, die diese Erlebnisse hatten, sich öffnen und darüber sprechen, werden die Kinder und Kindeskinder immer weiter „im Nebel stochern“.
Ich fand es ein wenig schade, dass manche Personen aus der Geschichte später „verschwanden“. So erfährt man nicht, was aus Anastasias Schwester Helene wurde, was aus Wolfi, dem Cousin der beiden und seiner Mutter Selma, die ja auch die Flucht erlebten. Aber vielleicht gibt es irgendwann noch eine Fortsetzung zu diesem Roman?