Freitag, 24. Juli 2020

Armando Lucas Correa „Die verlorene Tochter der Sternbergs“


 

Familie Sternberg lebt in Berlin. Der Vater ist Kardiologe und die Mutter betreibt den Buchladen, den sie von ihrem Vater übernommen hat, den „Büchergarten“ in Berlin Charlottenburg. Die beiden lieben sich und ihre beiden Töchter Viera und Lina innig. Aber sie sind Juden und das ist mit Machtantritt der Nazis kein gutes Vorzeichen für ein glückliches Leben.

Armando Lucas Correa beschreibt in diesem Buch die Leben der Mitglieder dieser Familie. Der Vater stirbt schnell, nachdem er von den Nazis abgeholt wird. Es gelingt ihm jedoch, zuvor noch die Flucht seiner Töchter vorzubereiten. Beide sollen am 13. Mai 1939 mit dem Passagierschiff „St. Louis“ nach Kuba zum Bruder seiner Frau reisen. Wenn er selbst und seine Frau schon nicht gerettet werden konnten, so sollten es wenigstens die Kinder schaffen. Der Vater eines ehemaligen Patienten, ein Nazi zwar, aber doch dankbar gegenüber Dr. Sternberg, der das schwache Herz seines Sohnes gestärkt hatte, war aktiv geworden und hatte alles für die Flucht der Töchter der Sternbergs organisiert.

Amanda, die Mutter von Viera und Lina, kann keine Dankbarkeit empfinden. Wie auch? Ihr Leben ist zerstört, der Buchladen leer, die Bücher verbrannt, ihr geliebter Mann tot und nun soll sie sich auch noch von ihren Töchtern trennen. Sie entschließt sich, am Pier erst, nur die ältere der beiden auf das Schiff und nach Kuba zu ihrem Bruder zu schicken. Mit der jüngeren flieht sie weiter nach Frankreich in ein Dorf in der Nähe von Limoges zu der Frau eines Freundes ihres Vaters, Claire.

Doch dort sind sie nur für kurze Zeit sicher. Die Nazis besetzen das Land und verschleppen Mutter und Tochter in ein Internierungslager. Es gelingt Amanda, Lina aus dem Lager hinauszuschmuggeln.

Zwischen den Kapiteln gibt es immer wieder berührende Briefe der Mutter an ihre ältere Tochter Viera, die, die das Schiff bestieg. Die Briefe überqueren den Atlantik, kommen aber immer ungeöffnet zurück.

Lange ist nicht klar, ob Viera ihr Ziel erreicht hat. Lina wird von Claire als zweites Kind, neben ihrer leiblichen Tochter Danielle angenommen. 

Diese Geschichte zu lesen war erschütternd. Ich habe schon viele Romane gelesen, die sich mit den Geschichten jüdischer Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus in Europa beschäftigten. Jeder einzelne erschütterte mich. Dieser jedoch, in dem eine Mutter sich von ihren Kindern trennen muss, um einen Hauch von Hoffnung zu haben, deren Leben retten zu können, berührte mich noch einmal besonders tief.

Was treibt Menschen dazu, andere Menschen so zu behandeln? Es ist etwas, was mich- wie viele andere Menschen- immer wieder beschäftigt. Wie war es möglich, dass Nachbarn, Freunde, Ärzte, Ladenbesitzer, Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld, die man schätzte, mit denen man sich traf, mit denen man lachte, feierte … plötzlich als unwert erklärt werden konnten? Entrechtet, abtransportiert, abgeschlachtet? Und alle sahen zu! Kaum einer tat etwas dagegen! Was ist der Mensch, wenn er so etwas zulässt, so etwas aktiv betreibt? 

Dieser Teil der deutschen Geschichte, über die in vielen Familien nicht wirklich gesprochen wird- bis heute kaum- wirkt weiter. Die Verletzungen, die Ängste, das Misstrauen… all das wirkt bis in die heutigen Generationen. 

Dieser Roman macht auf einer sehr emotionalen Ebene das ganze Ausmaß dieser verheerenden Zeit deutlich. Am Beispiel einer Mutter, die vor der Entscheidung steht, das Leben ihrer Kinder zu retten oder mit ihnen zusammen unterzugehen. Es hat mich zutiefst berührt und mir einmal mehr deutlich gemacht, wie privilegiert wir heute leben, aber auch, dass wir alles, aber auch wirklich alles dafür tun müssen, dass so etwas nie wieder geschieht, weder im Kleinen noch in diesem Ausmaß!

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