Sonntag, 23. August 2015

Franz- Olivier Giesbert „Ein Diktator zum Dessert“

Die hundertfünfjährige Rose schreibt ihre Memoiren. Sie fühlt sich jetzt alt genug dafür, sagt sie. Das Buch erinnerte mich vom Ansatz her ein wenig an den Roman von Jonas Jonasson „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Auch bei Giesbert geht es um das „Jahrhundert der Mörder“, das zwanzigste Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen, den Völkermorden und der Massenvernichtung der Juden. Auch in diesem Buch begegnet die Protagonisten einigen der Mächtigen. Im Gegensatz zum „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg“ und eher wie ein Ball von Ereignis zu Ereignis rollt und durch seine Naivität angeblich die Weltgeschichte beeinflusst, geht die Protagonistin bei Giesbert sehr zielgerichtet vor.

Sie wird 1907 als Armenierin geboren und muss mit ansehen, wie ihre Familie dem Genozid durch die Türken zum Opfer fällt. Das vergisst sie nie. Und sie rächt sich. Nicht nur an dem Mann, der ihren Vater tötete und veranlasste, dass der Rest ihrer Familie im Meer ertrank. Sie rächt sich an allen, die jemals ihren Lieben oder ihr Leid antaten. Die meisten tötet sie. Oft Jahre nach ihren Taten.
Im Grunde bricht dieses Buch eine Lanze für die Rache. Der Autor lässt Rose sagen: „Rache ist die einzige Gerechtigkeit, die etwas wert ist. Wer etwas anderes behauptet, der hat nicht gelebt. Außerdem glaube ich, wirklich vergeben kann man erst, wenn man sich gerächt hat. Deswegen ist es ein so schönes Gefühl. Schau dir an, wie gut es mir in meinem Alter geht. Ich bereue oder bedaure nichts, denn ich habe ein Leben lang Gleiches mit Gleichem vergolten.“ Diese Haltung steht im Gegensatz zu dem, was Lori Nelson Spielman in ihrem Buch „Nur einen Horizont entfernt“ über Vergebung schreibt. Vielleicht liegt irgendwo zwischen beidem die Wahrheit?
Bei allem Grauen, das in dem Buch thematisiert wird, hatte ich beim Lesen doch nie das Gefühl von Drama. An keiner Stelle kamen mir die Tränen. Das lag sicherlich daran, dass der Stil in dem es erzählt wird, eher ironisch bis sarkastisch ist. Auch daran, dass Rose über eine grundsätzlich positive und lebensbejahende Haltung verfügt. Immer wieder steht sie auf, beginnt von neuem. Meistens allerdings erst nachdem sie Rache geübt hat.
Einige Lebensweisheiten dürfen in den Memoiren einer Hundertfünfjährigen natürlich nicht fehlen. Wie z.B.:
„Großzügigkeit ist ein Geschenk, das man sich selbst macht. Nichts macht einem ein besseres Gefühl.“ oder
„Eine Rede ist wie das Kleid einer Frau. Sie muss lang genug sein, um das Wesentliche abzudecken und kurz genug, um interessant zu bleiben. Die meine besteht nur aus einem Satz: Man hat immer das Leben, das man verdient.“

Diese Sätze mildern vielleicht auch den Blick auf die Einstellung der alten Dame zur Rache und die daraus resultierenden Taten. Und ganz ehrlich: Wer hat nicht auch schon Rachegelüste verspürt, oft bei viel geringeren Anlässen, als sie Rose in ihrem Leben erfahren musste?

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