Ein emeritierter
Professor mit viel Zeit, ungewohnt viel Zeit. Flüchtlinge aus verschiedenen
afrikanischen Ländern, ebenfalls mit Zeit, viel Zeit. Der Professor nähert sich
ihnen an. Er befragt sie zunächst nach ihrem Leben, ihrem Weg bis in diese
Unterkunft in einem Berliner Vorort. Er sinnt nach über das Verhältnis des
Menschen zur Zeit. In seinem Fall, aber auch im Falle dieser jungen Männer, die
den ganzen Tag nichts tun dürfen, als zu warten…
Ohne
zu werten, beschreibt Jenny Erpenbeck die Entwicklung der Beziehung zwischen dem
Professor und den jungen Afrikanern. Sie erzählt deren Lebensgeschichten und zeichnet
ihre Gedanken auf, die des Alten und die der Jungen. Es ist ein leises Buch,
eines, das nachdenklich macht. Ich legte es immer mal beiseite, weil in meinem
Kopf die Gedanken sich verselbständigten und von der Geschichte weg in meine
eigene Vergangenheit und die mich umgebende Realität wanderten.
Die
Fragen danach, was ein Mensch ist, was Zeit, welchen Wert die Erinnerung hat,
was Freundschaft bedeutet, wirft Jenny Erpenbeck in diesem Buch ebenso auf, wie
die Bedeutung von Sprache als Mittel der Verständigung, aber auch als Ursache
von Missverständnissen.
Es
ist ein leises Buch, eines, das langsam, aber unaufhaltsam auf- und anregt.
Es
war für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert… und hat ihn nicht bekommen. Ich
habe versucht, das zu verstehen und bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass
das Thema des Buches wohl zu aktuell ist. Den Preis hat einer bekommen, der in
seinem Buch versucht, die Entstehungsgeschichte der RAF zu erklären. Ich habe
es noch nicht gelesen. Sicher ist es auch ein gutes Buch. Aber es behandelt
eben ein Thema, das lange zurück liegt. Da ist man auf der sicheren Seite. Da
sticht man nicht womöglich in Wespennester. Da muss man keine Stellung
beziehen, die womöglich irgendjemandem nicht gefallen könnte. Hätte „Gehen,
ging, gegangen“ von Jenny Erpenbeck den Preis bekommen, hätten die Juroren sich
aktuell- politisch positioniert. Für Menschlichkeit. Für eine Willkommenskultur
gegenüber Flüchtlingen. Schade, dass sie diese Chance vertan haben!