Ein
zurückgezogen lebender Schriftsteller, scheinbar in einer Sinnkrise. „In Zeiten
von Katastrophen oder geistiger Not gab es keinen anderen Ausweg, man musste
sich einen Fixpunkt suchen, um das Gleichgewicht zu halten und nicht über Bord
zu gehen. Der Blick bleibt an einem Grashalm hängen, an einem Baum, den
Blütenblättern einer Blume, als würde man sich an eine Rettungsboje klammern.“ So
erklärt der Protagonist Daragane seine Beziehung zu der Weißbuche vor seinem
Fenster. Welche Katastrophe ihn ereilt hat, erfährt man nicht. Man kann es nur
erahnen.
Daragane
wird von einem zwielichtigen Typen mit Geschehnissen konfrontiert, deren Teil
er offensichtlich als Kind vor vierzig Jahren war. Auch über diese Geschehnisse
erfährt man nichts genaues. Daragane scheint sich nicht erinnern zu können oder
zu wollen.
Es
bleibt alles irgendwie im Nebel, in der Schwebe. So viele Fragen bleiben offen.
Das Gefühl, das mich die ganze Zeit beim Lesen begleitete, war jenes, das man
manchmal morgens beim Aufwachen hat, wenn man sich an einen Traum erinnern
möchte, der sich aber beharrlich aus dem Bewusstsein zurückzieht. Man kann ihn
einfach nicht greifen, die Fetzen und Fetzchen, die bleiben, nicht zu einem
Ganzen, gar zu einer Geschichte zusammensetzen. Das könnte
durchaus unbefriedigend sein.
Und
doch war ich am Ende nicht frustriert. Die Art, in der Modiano schreibt, ist
wie eine sanfte Melodie, die selbst dramatische Momente in weiche Töne kleidet.
Man schlendert in Gedanken durch Paris oder steht neben Daragane am Fenster und
richtet den Blick wie er auf die Weißbuche. Man lauscht seinen Gedanken und bruchstückhaften
Erinnerungen an seine Kindheit. Die zwischenzeitlich aufkommenden Fragen verflüchtigen sich wie Regentropfen, die auf eine Fensterscheibe fallen. Man
hat das Gefühl, man kann diese Fragen nicht stellen, ohne ihn zu verletzen, zu
irritieren. Und das will man schließlich nicht. Dazu ist dieser Spaziergang
durch Paris in einem warmen Spätsommer zu harmonisch…
Ich
dachte am Ende: manchmal ist es sicher auch gut, sich nicht zu erinnern.
Manchmal wäre es nicht zu ertragen. So wird es wohl für Daragane sein…
Ein
schmales Bändchen ist dieses Buch von Patrick Modiano. Gerade 160 Seiten. Er
erhielt dafür den Nobelpreis für Literatur 2015.
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