Sonntag, 11. Oktober 2015

Harper Lee „Wer die Nachtigall stört“

Ich hatte dieses Buch schon lange auf meiner Liste. So oft hörte oder las ich irgendwo ein Zitat aus diesem Roman oder nahm jemand Bezug zu dieser Geschichte.
„Wer die Nachtigall stört“ ist ein wundervoller Roman über die dreißiger Jahre in einem kleinen Städtchen in den Südstaaten der USA. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht eines achtjährigen Mädchens, Jean Louise Finch, genannt Scout. Sie lebt mit ihrem vier Jahre älteren Bruder Jeremy, genannt Jem, ihrem Vater, Atticus Finch und einer schwarzen Haushälterin, Calpurnia, in Maycomb. Ihre Mutter ist verstorben, als Scout noch so klein war, dass sie meint, sich nicht mehr an sie erinnern zu können.
Atticus Finch arbeitet als Anwalt und wird eines Tages als Pflichtverteidiger für einen Schwarzen berufen, der angeblich eine Weiße vergewaltigt haben soll. Der Prozess wird öffentlich abgehalten und der gesamte Ort, auch die Kinder wohnen ihm bei.
Die kleine Scout stellt viele Fragen und ihr Vater Atticus beantwortet sie geduldig und ehrlich. Er vermittelt seinen Kindern ein differenziertes Menschenbild und erinnert sie stets daran, sich ihre Menschlichkeit zu bewahren sowie jedem Menschen, egal welcher Hautfarbe, freundlich zu begegnen.
Das Buch beschreibt detailreich und liebevoll das Leben der Menschen in dieser Kleinstadt. Manchmal glaubte ich, die Hitze des Sommers zu spüren, das Schlurfen von Schritten zu hören oder den Staub der Straßen, den Schweiß der Menschen in diesem Gerichtssaal zu riechen… Es stellt aber auch schmerzhaft dar, wie viel Ungerechtigkeit einem Menschen widerfahren kann, wenn er mit der „falschen“ Hautfarbe geboren wurde. Zwar hat sich diesbezüglich in den USA inzwischen einiges geändert, aber manchmal scheint es, als würde es noch sehr lange dauern, bis auch der letzte Amerikaner wirklich verinnerlicht hat, wofür Atticus Finch schon damals stand.

Der Roman wurde in den USA zur Schullektüre und mit ihm Atticus Finch zum Vorbild eines guten Amerikaners. Menschlich, freundlich und ohne jeden Dünkel. 

Das Buch erschien 1960 in den USA und 1962 in Deutschland. Es war Harper Lees erstes und einziges Buch. Es gab das Gerücht, sie habe es gar nicht selbst geschrieben, sondern Truman Capote, mit dem sie aufgewachsen ist und dem sie bei den Recherchen zu seinem Tatsachenroman „Kaltblütig“ unterstützt hatte. Capote hat dieses Gerücht nie bestätigt, aber auch nie eindeutig dementiert…

Bei meinen Recherchen zu Harper Lee, fand ich nicht viel. Ich hätte gern gewusst, ob sie je verheiratet war oder Kinder hat. Darüber fand ich aber nirgends etwas.
Im Juli 2015 erschien nun, 55 Jahre nach dem ersten Buch, ein weiteres von Harper Lee mit dem Titel „Gehe hin und stelle einen Wächter“. Es soll das Manuskript sein, dass Harper Lee zuerst bei einem Verlag einreichte und aus dessen Überarbeitung der Welterfolg „Wer die Nachtigall stört“ entstand. Dieses neue Buch spielt in den fünfziger Jahren und stellt Atticus Finch als Rassisten dar. Ich habe nach der Lektüre des folgenden Artikels


nicht wirklich Lust, dieses zweite Buch zu lesen. Allerdings denke ich, dass der Zauber des ersten Buches nie verloren gehen wird. Menschen ändern sich. Warum sollte Atticus Finch davon verschont werden? Aber will ich diese Erfahrung machen? Ist es nicht schöner, sich die Illusion zu bewahren, dass es Menschen wie diesen Atticus Finch gibt? Menschen, die menschlich sind und es immer bleiben. Die Hoffnung auch, dass Menschlichkeit möglich ist?
Ich habe noch nicht entschieden, ob ich dieses zweite Buch von Harper Lee lesen werde. Wenn ich es lese, werde ich hier auf jeden Fall darüber schreiben.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich immer über Nachrichten/ Kommentare und daraus entstehenden Austausch :)