Samstag, 5. Juli 2014

Carla Guelfenbein „Die Frau unseres Lebens“

Eine Frau und zwei Männer. Das klingt schon im Titel an. Aber es geht um viel mehr als das.
Theo, der Erzähler, ist ein zurückhaltender Mensch. Antonio, ein chilenischer Student im englischen Exil, wirkt auf ihn wie eine gespannte Bogensehne- ruhig, konzentriert und im richtigen Moment kraftvoll hervorschnellend. Die Freundschaft zu ihm empfindet Theo als Geschenk, das ihn aus seiner normalen Welt herausholt, heraushebt. Clara, Antonios Freundin, fasziniert Theo. Sie tanzt, sie zeichnet, sie schreibt Tagebuch… Als Theo erfährt, dass Antonio und Clara kein Paar sind, wagt er sich näher und es entsteht eine zarte Beziehung. Soweit eine alltägliche Geschichte.

Claras Vater gehört zu den Männern, die unter Pinochet abgeholt wurden und anschließend verschollen blieben. Antonios Bruder fällt im Widerstandskampf. Das Leben der beiden ist politisch und steht damit im Gegensatz zu dem, was Theo kennt… und es verändert seine Sicht auf die Welt…
Nach dem für die drei schicksalhaften Sommer 1986 bricht die Beziehung ab. Theo wird Kriegsberichterstatter und ist unfähig, dauerhafte Beziehungen aufzubauen.
Fünfzehn Jahre später läd ihn Antonio nach Chile ein. Theo reist zu ihm und trifft dort auch Clara wieder.

Im Laufe des folgenden Jahres wird sich Theo darüber klar, dass „… die Vergangenheit eine geschmeidige Masse war, die sich bei Berührung veränderte.“ Er löst sich aus seiner Starre, die fünfzehn Jahre anhielt, in die er gefallen war durch sein schlechtes Gewissen, durch seine Wut, durch seine Verwirrung bezüglich der Geschehnisse in jenem Sommer und der Unmöglichkeit mit den beiden weiter zu kommunizieren. Er hatte seine Sicht auf die Geschehnisse, Clara und Antonio eine andere. Da sie sich nicht darüber austauschten, blieben alle Gefangene ihrer Gedanken. Clara fasst das mit den Worten zusammen: „Du weißt ja, was immer wir sagen, tun oder lassen, hat für jemand anderen eine andere Bedeutung.“

Auch wenn die Politik, die Dramen, die sich in Chile damals abspielten, eine Rolle übernehmen in diesem Buch, geht es doch viel mehr um zutiefst menschliche Eigenheiten: wie sehr darf ich in das Leben eines Menschen eingreifen? Muss ich ihn um Erlaubnis fragen? Rechtfertigt meine Zuneigung zu ihm eine Entscheidung meinerseits, über seinen Kopf hinweg zu handeln? Und schließlich: welche Grenzen hat die Kommunikation?


Dies alles ist aus meiner Sicht wundervoll geschrieben. Langsam, aber nicht zäh, gerade richtig. Ein sehr lesenswertes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich immer über Nachrichten/ Kommentare und daraus entstehenden Austausch :)