Samstag, 5. Juli 2014

Oskar Roehler „Herkunft“

Es ist verfilmt worden, dieses Buch. Großartig besetzt und sicher ebenso gespielt. Ich sah nur den Trailer, denn ich las damals gerade das Buch. Vielleicht sehe ich den Film später noch. Als ich jedoch mit dem Buch fertig war, verspürte ich nicht das Bedürfnis, auch noch von anderen geschaffene Bilder dazu zu sehen. Ich hatte genug davon in meinem Kopf.
In eindrucksvoller Sprache beschreibt Roehler die Kindheit und Jugend eines Mannes, der in den sechziger Jahren geboren wurde und keinen Halt findet. Seine Eltern sind wilde 68er, die sich nicht nur nicht um ihn kümmern, sondern ihn ganz offensichtlich mit keiner einzigen Zelle ihres Herzens lieben. So werden sie jedenfalls dargestellt. Das Kind stört nur und das wird ihm von Anfang an verdeutlicht. Doch das Kind hat Lebenswillen und sorgt dafür, dass man es zur Kenntnis nimmt. 


Die Eltern der Mutter sind reich, die Großmutter neurotisch, der Großvater selbstherrlich. Geld spielt keine Rolle, man lebt die Devise: mit Geld kann man alles kaufen. Die Eltern des Vaters haben sich ebenfalls ein Vermögen erarbeitet, leben aber eher zurückhaltend, fast spartanisch und das nicht nur in Bezug auf Materielles. Auch zwischenmenschlich sind Wärme und Liebe aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich. Der Junge, dessen Leben Roehler erzählt, lebt mal hier mal da. Anfangs wird er herumgereicht, später flieht er selbst von einem zum anderen. Sein Verhalten ist immer extrem. Er verletzt und zerstört, was er doch liebt, weil er Liebe, Wärme und Sicherheit zwar ersehnt, aber nicht ertragen, nicht daran glauben kann. Es nicht gelernt hat, daran zu glauben. Es war nie etwas sicher. Er musste immer auf der Hut sein, immer wachsam, konnte niemals sich treiben lassen.
Es gab Momente in denen ich es weglegen wollte, dieses Buch, weil ich die Beschreibung der immer neuen Eskapaden dieses heranwachsenden Mannes nicht mehr ertragen konnte. Aber es gab immer Situationen, in denen er mich anrührte, in denen ich ihn verstand und in denen ich hoffte, er würde doch noch den Weg in ein erfüllendes Leben finden. Und so las ich weiter. Bis zum Schluss. Nein es gibt keinen wirklich positives Ende. Es ist offen gelassen. Kann sein, dass er es schafft, glücklich zu werden. Kann aber auch sein, dass er es gegen den Baum fährt, immer wieder, so lange bis der Crash dann eines Tages tödlich endet.
Was mich besonders beschäftigt hat und was auch ausführlich beschrieben wird, ist das Schicksal der Menschen, die den Krieg erlebten. Die Generation, die im Westen das Wirtschaftswunder hervorbrachte. Sie hatten nach dem Ende des Krieges nur zwei Möglichkeiten: sterben oder das Grauen des Erlebten verdrängen und die Ärmel hochkrempeln, um zu leben, um Lebensgrundlagen zu schaffen. Sie entschieden sich für letzteres, erschufen materielle Werte, häuften Reichtum an und betäubten eventuell aufkommende Gefühle mit Arbeit und/ oder Alkohol. Ihren Kindern und Enkeln gelang das Leben oft nicht, obwohl sie doch augenscheinlich so viel bessere Voraussetzungen hatten: keine Bomben, kein Hunger, keine existenziellen Sorgen. Nur eines fehlte ihnen: Liebe, Wärme, wirkliche Nähe. Diese Fähigkeiten hatten ihre Eltern in ihrem Innern gut verschließen müssen, um überleben zu können. Ich frage mich manchmal, wie das kommt: die Generation, die den Krieg erlebt hat, erlebte in ihrer Kindheit oft Mangel sowohl im materiellen, wie auch im seelischen. Es fehlte an allem und für liebevollen Umgang mit den Kindern blieb erst recht kein Raum. Woher nahmen diese Menschen die Kraft, etwas aufzubauen, das so zerstört war? Wenn ich mir nur die Bilder der zerbombten Städte anschaue, die Berge von Trümmern… Da hin zu gehen und aufzuräumen, nach und nach alles wieder aufzubauen. Muss man durch die Hölle gegangen sein, um dafür die Kraft zu haben? Die folgenden Generationen resignieren schon bei viel geringeren Hindernissen. Dabei müssten sie doch noch viel mehr Kraft haben, sie, die immer gut genährt, oft auch sehr geliebt und umsorgt aufgewachsen sind. Aber dem ist nicht so! Wirken die Grauen des Krieges jetzt erst nach? Bricht sich jetzt die Erinnerung, die Verzweiflung Bahn, die inzwischen vor fast 70 Jahren so erfolgreich verdrängt und in körperliche und Willenskraft umgewandelt wurde? Gibt es ein genetisches Gedächtnis für grausame Erlebnisse? Manchmal scheint es mir so. Aber das wäre zu einfach gedacht. Es ist viel komplizierter und hängt von so vielem ab- das hat Roehler eindrucksvoll beschrieben.


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